Nach Syrien steht jetzt der Irak im Fokus der Berichterstattung. Eine scheinbar neue Organisation sorgt mit ihrer Brutalität und enormen militärischen Erfolgen für Aufsehen und auch in Europa wächst die Furcht vor Anschlägen. Schätzungsweise 3.000 Europäer kämpfen in den Reihen der selbstenannten Gotteskrieger. In der Vergangenheit war meist von ISIS, ferner von ISIL die Rede. Von einem Tag auf den anderen hieß die Gruppe plötzlich IS. Was bedeuten die Kürzel, warum ändern diese sich so oft und was hat IS mit al-Qaida zu tun?
ISIS oder ISIL?
Bei diesen Abkürzungen handelt es sich um die Übertragung arabischer Akronyme in die deutsche oder englische Sprache. Der arabische Name für die Organisation war al-Dawla al-Islamiya fi al-Iraq wa-al-Sham (الدولة الإسلامية في العراق والشام), Islamischer Staat im Irak und Syrien . Im Arabischen wurde diese Gruppe wegen der Anfangsbuchstaben Dal(د)-Alef(ا)-Ayn(ع)-Shin(ش) als Da’ash (داعش) oder Da’esh abgekürzt. Der arabische Name der Organisation kann aber unterschiedlich übersetzt werden, weswegen es im Deutschen oder Englischen oft zu Begriffsverwirrungen kommt.
Schwierigkeit liegt hierbei in dem Wort al-Sham, was meist mit Syrien oder Groß-Syrien übersetzt wird. Al-Sham ist der vor-koloniale arabische Name für die Region Syrien, umfasst aber auch das historische Palästina, den Libanon und Teile Jordaniens. Diese historische Bezeichnung wurde von der Organisation bewusst gewählt, da sie von Kolonialmächten gezogene Grenzen und damit die Namen der einzelnen Staaten, also auch Syrien, ablehnt. Wissenschaftler kritisierten aufgrund der schwierigen territorialen und vor allem staatlichen Eingrenzung von al-Sham die Übersetzung Syrien und damit auch die Abkürzung ISIS. Sie bevorzugten für al-Sham den Begriff Levante, weswegen in einigen Medien auch oft die Abkürzung ISIL für Islamischer Staat im Irak und der Levante zu lesen war. Passender wäre also tatsächlich die Abkürzung ISIL gewesen, ISIS setzte sich jedoch durch.
Warum jetzt IS?
IS steht für Islamischer Staat, arabisch al-Dawla al-Islamiya. Dieser Name symbolisiert den exklusiven Anspruch der Organisation alle Muslime dieser Welt zu vertreten und in einem Staat zu vereinigen. Der Anführer der Gruppe Abu Bakr al-Baghdadi erklärte sich am 29. Juni 2014 zum Anführer der Gläubigen (arab. Amir al-Mu’minin) und Kalif. Seine Gruppierung nannte er um in Islamischer Staat, beansprucht also seither nicht nur Oberhaupt einer Organisation, sondern auch eines Staates und aller Muslime der Welt zu sein. Alle Muslime hätten ihm als berechtigen Nachfolger Muhammads Gefolgschaft zu leisten und einen Treueeid (arab. Bay’a) zu schwören. Muslime, die diesen Eid nicht leisten wollen gelten nach Ideologie des IS als Ungläubige und dürfen nach Überzeugung des IS ermordet werden. Schiitische Muslime und andere Konfessionen werden als “Abweichler” bezeichnet, die auch zu töten seien. Weltweit gibt es etwa 1,5 Milliarden Muslime, dem IS werden zwischen 12.000 (University of Stanford) und 50.000 Mitglieder alleine in Syrien (Angaben der mit IS verfeindeten syrischen Opposition) zugeschrieben. Bei den ranghöchsten islamischen Gelehrten stieß die Ausrufung des Kalifats, die Brutalität und die Verfolgung von Minderheiten auf heftigen Widerstand und wurde kollektiv abgelehnt und verurteilt.
Gehört der IS zu al-Qaida?
Nein. Oder besser gesagt: nicht mehr. Die Organisation Islamischer Staat wurde unter dem Namen Monotheismus und Dschihad (arab. al-Tawhid wa-l-Dschihad) vom Jordanier Abu Musab al-Zarqawi Ende 2003 im Irak gegründet. Zu dieser Zeit gehörte sie noch nicht zum al-Qaida-Netzwerk. Erst am 17. Oktober 2004 schwor al-Zarqawi Osama bin Laden die Treue und unterstellte seine Kampfgruppe damit al-Qaida, als deren offizieller irakischer Ableger sie nun fungierte. Fortan operierte sie als Organisation der al-Qaida im Irak (arab. Tanzim Qaidat al-Dschihad fi bilad al-rafidayn). 2006 wurde die Gruppe erneut umbenannt, diesmal in Islamischer Staat im Irak, ISI (arab. al-Dawla al-Islamiya fi al-Iraq).
Bis dato war ISI eine für ihre Brutalität berüchtigte Untergrundorganisation. Mitgliederzahlen waren gering und eine flächendeckende Sympathie in der irakischen Bevölkerung gab es nicht. Sogar Osama bin Laden begann die Gruppierung aufgrund ihrer Radikalität zu kritisieren. Bereits seit ihrem ersten Auftreten organisierten sich irakische Milizen (arab. Sahawat), die den Kampf mit ISI aufnahmen und al-Qaida weitgehend aus dem Irak vertreiben konnten. Erst als es 2012 und 2013 zu großen Demonstrationen der sunnitischen Stämme im Nord-Irak gegen die Regierung des Schiiten Nuri al-Maliki kam, konnte ISI wieder an Rückhalt gewinnen. Maliki ließ seine Sicherheitskräfte auf unbewaffnete Demonstranten schießen, woraufhin der Hass vieler Sunniten auf Schiiten wieder aufflammte, was ISI für sich ausnutzen konnte. Die sunnitischen Stämme, die vorher noch als Stammesmilizen ISI bekämpften, gingen nun ein Bündnis mit ISI ein, um Malikis Truppen aus den sunnitischen Provinzen zu vertreiben.
In der Zwischenzeit dauerte der Arabische Frühling in Syrien an und hatte sich zu einem Bürgerkrieg mit konfessionellem Charakter entwickelt. Die irakische al-Qaida-Filiale ISI hatte Kämpfer nach Syrien beordert, um dort eine eigene Zelle aufzubauen: Dschabhat al-Nusra (arab. für Unterstützungsfront). Ende Januar 2012 wurde die Gründung der Dschabhat al-Nusra unter der Führung von Muhammad al-Dscholani bekanntgegeben. Dschabhat al-Nusra stieg zu einer gefürchteten Eliteeinheit im Kampf gegen Assad auf und entwickelte ein Eigenleben. ISI-Chef Abu Bakr al-Baghdadi erklärte daher eigenmächtig im April 2013 die Fusion der syrischen al-Qaida-Gruppe Dschabhat al-Nusra mit dem irakischen al-Qaida-Ableger ISI zum Islamischen Staat im Irak und Syrien. Doch der syrische al-Qaida-Führer al-Dscholani weigerte sich al-Baghdadi Gefolgschaft zu leisten. Das war der Beginn des Bruchs von ISIS mit al-Qaida.
Infolgedessen stellte sich die internationale al-Qaida-Führung hinter al-Dscholani und forderte al-Baghdadi auf, sich auf den Irak zu beschränken. Al-Baghdadi wiederum weigerte sich und wurde so zum direkten Konkurrenten der al-Qaida-Führung. In einer Pressemitteilung distanzierte sich al-Qaida von ISIS. Seitdem ist ISIS nicht nur Gegner von al-Qaida, sondern beansprucht die alleinige Führung und betrachtet alle islamischen und islamistischen Gruppen, die sich nicht unterordnen als ungläubig. Mit diesem Führungsanspruch änderte sich das Selbstbild von ISIS zum “einzig legitimen Islamischen Staat“, IS.
Chronologie der Abkürzungen
ca. 2003: al-Tawhid wa-l-Dschihad (Monotheismus und Dschihad/ engl. Jihad) –> TJ
2004: al-Qaida im Irak –> AQI
2006: Islamischer Staat im Irak –> ISI
2013: Islamischer Staat in Syrien/ der Levante –> ISIS/ISIL
2014: Islamischer Staat –> IS
